Anarchistischer Aufruf zur 1. Mai Demo in Friedrichshain

Nach einer mehrjährigen Phase der Stagnation und des verlorenen Kräftemessens mit Berlins widerlichstem Straßenfest, dem „Myfest“, weicht das Spektakel nach Friedrichshain aus und ermöglicht damit seine Wiedergeburt als rebellisches Datum. Warum die diesjährige Revolutionäre 1. Mai Demonstration aus anarchistischer Perspektive unterstützenswert ist, soll hiermit zur Diskussion gestellt sein.
Die antagonistische Szene in Berlin, gelegentlich als autonom, postautonom, linksradikal etc. bezeichnet, findet über das Jahr verteilt wenige Momente des Agierens. Meistens wird sich auf das Reagieren beschränkt, zwischen Erdogan Besuchen, Naziaufzügen, Polizeikongressen und Repression fehlt oft Zeit und Kraft selbstbestimmt anzugreifen.

Der 1. Mai hingegen ist ein Ereignis, bei dem lange Zeit die Bullen und ihre politische Führung vor uns her getrieben worden. Diese Phase ist vorbei, seitdem vom Ursprung 1987 lediglich als Fehlinterpretation die Krawallfixiertheit übrig geblieben ist. Dabei war der Aufstand vor zweiunddreißig Jahren mehr als das hingebungsvolle Umfallen der Bullen im Steinhagel. Er war vor allem das gemeinsame Handeln von Menschen, die irgendeinen, wenn auch nur minimalen Bezug zueinander verspürten. Das existiert in dieser Form heute nicht mehr, die verbliebenen autonomen oder Antifagruppen wursteln vor sich hin, weitgehend ohne Bezug zu den immer noch vorhandenen Gang-Jugendlichen und anderen Frustrierten, Wütenden und Marginalisierten, die es mit dem Gesetz nicht so genau nehmen und die trotzdem kein revolutionäres Subjekt sein können. Der Kontakt scheint so dünn wie lange nicht zu sein, jedochhaben einige der vorbereitenden Gruppen vergangener Revolutionärer 1. Mai Demonstrationen, die Kritik an dem Kreuzberger Ritual angenommen und/oder neue Perspektiven für den Tag vorgestellt. Die Situation in dieser Stadt erlaubt ein Ignorieren dieser Entwicklung nicht. Vielmehr werden wir nicht nur in naher Zukunft weitere Abwehrkämpfe führen müssen (Liebig34 … ), sondern wollen wieder selbst zum Angriff auf die Ordnung übergehen. Dafür sind Gelegenheiten der Sichtbarkeit, des Kennenlernens und des Ausprobierens der Organisierungsfähigkeit elementare Voraussetzung. Dabei gilt es, sich freizumachen von den Bewertungen der Presse und der Innenpolitiker*innen im Abgeordnetenhaus, die uns als feige Idioten beschimpfen wenn es geknallt hat und die uns als schwachen Haufen verlachen wenn ihre Bullenarmee die Kontrolle behält.

Stattdessen werden unsere Koordinaten andere sein: wer in dieser Stadt bereit ist sich in Konflikte einzumischen und sie anzufachen, ob es gelingt über den Tag hinaus Verbindungen aufzubauen um weitere Aktionen entstehen zu lassen, wie wir uns einen Raum jenseits des betäubenden Konsums in Kreuzberg 36 nehmen können und wie wir diesen Raum nutzen. Das die Wahl auf Friedrichshain gefallen ist, um die Charakteristiken des anarchistischen Projekts (für einige auch des kommunistischen, sozialrevolutionären oder antiimperialistischen) als Vorschlag zu unterbreiten, ist doch logisch. Hier sind in den letzten Jahren die Feindschaften mit dem Staat handgreiflich geworden, hier ist die Verdrängung fast abgeschlossen und hier wird es irgendwann ein Inferno geben, wenn die Herrschenden die angeblichen letzten Bastionen der „linksextremen Gewalt“ zugunsten der Investoren schleifen werden.

Die Demonstration, zu der hiermit aufgerufen wird, wird groß sein aber im Vergleich zu den letzten Jahren mit weniger Party Publikum als gaffenden Statist*innen. Sie wird Bezug nehmen auf die Kämpfe der Mieter*innen der Karl-Marx-Allee und der bedrohten Projekte im Nordkiez. Mit dem Versuch der Raumnahme jenseits des sozialen Kannibalismus wird das Terrain geöffnet, auf dem in diesem Sommer die Utopie von Freiheit und Selbstermächtigung mit der Arroganz der geistigen Armut und der künstlich erzeugten Bedürfnisse der Herrschenden und ihrer Diener, zusammenstoßen wird. Die Anarchie, die im Moloch Berlin bereits täglich klauend, schwarzfahrend, sachbeschädigend oder Ämter bescheißend unterwegs ist, wird neue Wege finden, wenn sie den vermeintlichen Rahmen der aufgezwungenen Normalität verlässt und gegenüber der brachialen Gewalt des Staates, kollektive Erlebnisse der Solidarität ermöglicht. Das Datum 1. Mai ist dabei nur ein Vehikel zu dem, was uns an anderen Tagen schwerer fällt: diejenigen Menschen zusammenbekommen, die mit der Faust in der Tasche durch die Stadt laufen und auf eine Gelegenheit zur Vergeltung warten, die die nichts zu verlieren haben ausser der Bevormundung durch irgendwelche Chefs und Bullen. Der 1. Mai 2019 wird sicher nicht der Tag der Revolution werden, er ist jedoch immerhin der geeignete Zeitpunkt um die Stimmung für die kommenden Kämpfe zu entfachen. Die Berliner Bullenführung hat zusammen mit der Bezirksverwaltung den Knochen Myfest in SO36 komplett abgenagt. Jetzt sollen sie den Kadaver bewachen, während wir sie gleichzeitig an anderen Orten in Konflikte verwickeln können. 

Autonome Gruppen

[von: https://de.indymedia.org/node/29779]